Der Einzige und sein geistiges Eigentum
Christian Ziegler Sechs Gründe für eine Überwindung des Konzeptes vom ‚geistigen Eigentum‘:
1) Demut: Jeder, der mit seinen geistigen Erzeugnissen geizt, lebt auch von anderen, die das nicht getan haben.
2) Fairness: Das gegenwärtige Urheberrecht belohnt nicht geistige Leistungen, sondern die Fähigkeit, sich geistige Leistungen schützen zu lassen. Das sind prinzipiell zwei ganz verschiedene Dinge.
3) Übergeordneter kultureller Wert: Die kulturelle Aufgabe unserer Zeit wäre es, nicht in erster Linie immer neue Inhalte zu produzieren, sondern die vorhandenen zu ordnen, aufeinander zu beziehen und sinnvoll zu erschließen. Der Kulturheros dieser Epoche wäre der brilliante Bibliothekar, nicht der ’schöpferische Genius‘ der Romantik. Der Bibliothekar braucht die Erlaubnis, fremde ‚Bücher‘ arrangieren zu dürfen.
4) Bildung: Zur Zukunft der Bildung gehört in viel stärkerem Maße als bisher die Autodidaktik. Diese wird umso besser gelingen, umso mehr wertvolle Lehrmittel jedermann zugänglich sind. (Vorausgesetzt, wir können auch die Lernlandschaft defragmentieren und Qualitätssicherungsmechanismen implementieren.) Es ist unsinnig, den Wert der Bildung zu loben und Chancengleichheit zu befürworten, wenn man nicht gleichzeitig für Lehrmittelfreiheit sorgt.
5) Wissenschaft: Der wissenschaftliche Wert des Internets wird sich nicht darin erschöpfen, MEDIUM wissenschaftlicher Kommunikation zu sein. In Zukunft noch wichtiger wird die Möglichkeit sein, die Datenmengen des Internets selbst automatisiert bzw. halbautomatisiert auswerten zu können. Urheberrechtliche Datenschranken führen dann zu einem ‚availability bias‘. Wir verfälschen also durch einen falsch verstandenen Urheberschutz unsere Welterkenntnis. (Und berauben uns damit auch der Chance, Politik auf rationalerer Grundlage betreiben zu können.)
6) Wirtschaft: Einschränkungen der Mitteilbarkeit von Arbeiten, die auf vorhandene Werke aufsatteln, führen zu erheblichen Redundanzen und der Verschwendung geistiger Ressourcen. Es ist sinnvoller, etwa ein paar gut strukturierte Musik- oder Filmdatenbanken allgemein zugänglich zu haben, als Millionen von Menschen Millionen von Arbeitsstunden zubringen zu lassen, ihre persönlichen, lückenhaften Archive aufbauen zu lassen. (So wie man in Maos China feststellen mußte, das millionenfache Hinterhof-Stahlkocherei doch keine gute Idee ist.)
Fazit: Weil es einen kulturell-moralischen Imperativ gibt, geistige Schöpfungen allgemein verfügbar zu machen, DARF sich die gegenwärtige Diskussion nicht mehr auf die Verteidigung eines dysfunktionalen status quo beschränken. Ausgangspunkt der Diskussion MUSS die Frage sein: Welche ANDEREN Möglichkeiten gibt es, geistig Schaffenden eine angemessene Teilhabe an den materiellen Ressourcen zu sichern?
Guter Text. Aber: Punkt 2 ist sachlich falsch. Das Urheberrecht belohnt allenfalls denjenigen, der es auszuüben weiß. Beantragen muss man es jedoch nicht – gerade das lässt es im Gegensatz zu z.B. Patenten auch durchaus vernünftig erscheinen. Man bekommt es einfach so. Auch wenn man das gleiche geschaffen hat wie ein anderer. In sofern belohnt das Urheberrecht also die kreative Leistung, nicht die dahinterstehende Idee.
Januar 31, 2012 um 7:02 pm
Der wichtigste Punkt fehlt: Eigentum hat im Kapitalismus einen Warenwert, der auf der Knappheit des Produkts beruht. Die Quantität der Ware entscheidet über das Matching von Angebot und Nachfrage bei einem resultierenden Preis. In digitaler Form weisen Produkte geistiger Schöpfungskraft, erst einmal (ggf. in nur einer Kopie) in ein weltumspannendes Netzwerk eingespeist, keine Knappheit auf: Mit einer einzigen Kopie lässt sich durch qualitätsverlustfreies Kopieren die gesamte Weltbevölkerung versorgen. Jede beliebige Nachfrage lässt sich mit einer beliebigen Zahl an digitalen Kopien befriedigen. Digitale Information (die für ein allgemeines Publikum bestimmt ist) hat also keinen Warenwert und daher auch keinen Preis, zu dem sie verkauft werden könnte. In der Wissensgesellschaft gilt vielmehr: Jeder nach seinen Fähigkeiten, jedem nach seinen Bedürfnissen.
Man kann die Zusammenhänge auch wissenstheoretisch erklären: Werke geistiger Schöpfung sind für den Adressaten zunächst Informationen. Informationen für sich genommen haben aber gar keinen Wert, besonders nicht, wenn sie sich (das war auch oben schon die Einschränkung) an ein allgemeines Publikum wenden, also an Menschen, die schon von der Intention des Autors im Rahmen seiner ungerichteten one-2-many-Kommunikationsform her selbst zusehen müssen, was sie aus den angebotenen Informationen machen. Die Rezeption der Informationen auf Seiten des Publikums führt zu Wissen, das völlig zweckfrei (im Rahmen der Persönlichkeitsbildung) sein oder – zu sehr unterschiedlichen Zeitpunkten in unterschiedlichen Kontexten – einen Wert entwickeln kann. Dieser Wert entwickelt sich – anders als bei einem Hammer oder einem Schuh – aber ausschließlich aus dem vom Nutzer selbst generierten Wissen. Der Wert der Informationen für ihren Schöpfer ist ein individueller Erfahrungswert (für manche Autoren und Musiker ist es gar ein selbsttherapeutischer Wert). Er entspricht – bei allem Arbeitseinsatz – der Intention eines Altruisten, der sich bereit macht, zur Tat zu schreiten, dem die gute Tat also erst noch bevorsteht. Der Wert der Informationen auf Seiten des Adressaten ergibt sich hingegen erst durch Rezeption, Aneignung und Verarbeitung zu Wissen. Der gesellschaftliche Wert der Informationen steigt sogar, je mehr Menschen der Informationen teilhaftig werden, was wiederum über beliebige Kanäle möglich ist, ohne jemals einen (weiteren) Arbeitseinsatz des geistigen Schöpfers in Anspruch zu nehmen.
Februar 2, 2012 um 1:06 am
Wissen ist das einzige Gut, welches sich verdoppelt wenn man es teilt.
Februar 5, 2012 um 12:30 am
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